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Social Learning: Zwei Zugänge

5.Oktober 2011  

Unter dem Titel #solea11 laden Julian Grandke und Cornelie Picht zur Blogparade zum Thema Social Learning ein. Es geht darum einen persönlichen Zugang zur Social Learning und eigene Erfahrungen zu schildern.

Mein Problem: Ich habe keinen persönlichen Zugang, sondern ich habe zwei persönliche Zugänge. Und die widersprechen sich auch noch. Der eine Zugang ist begeistert, und kann sich gar nicht vorstellen, was die Welt ohne Social Learning wäre. Der andere Zugang fragt sich, ob es ein blöderes Wort als Social Learning gibt.

Deshalb stelle ich meine beiden Zugänge unkommentiert nebeneinander und antworte zweimal auf die Frage „Was verstehe ich unter Social Learning? (Die 3 wichtigsten Kennzeichen)“

Zugang 1: Alle reden vom Social Web. Und Social Learning – das ist Lernen im Social Web. Das führt zu drei zentralen Kennzeichen: offen, integriert und technologie-inspiriert.

  • Offen bezieht sich zum einen auf die Lerninhalte, die als freie Ressourcen in unerschöpflicher Zahl im Netz zur Verfügung stehen. Zum anderen bezieht sich das auf die Offenheit individueller Lernprozesse nach außen. Der Social Learner twittert, bloggt und facebooked ständig über den eigenen Lernfortschritt, neue Ideen und Gedanken. Damit erlaube ich den anderen die Partizipation am eigenen Lernen, und erhalte im Gegenzug Zugriff auf deren individuelle Prozesse. Es besteht eine „offene Schnittstelle“ zwischen Lernern, die ständige Austauschprozesse unterstützt.
  • Integriert meint einmal die Vielzahl unterschiedlicher Ressourcen die integriert werden müssen. Anders als Lernsettings, in denen ein Lehrer oder Dozent Inhalte aufbereitet, oder ein Lerneinheit nach didaktischen Überlegungen aufbaut erfordert Social Learning die Integration unterschiedlicher zum Teil widersprüchlicher Inhalte. Außerdem müssen unterschiedliche Medienformate und Gattungen integriert werden: Nutzergenerierte Inhalte und Lehrbuchinhalte, Meinung und Fakten, Spekulation und Empirie. Daraus ergibt sich als dritter Aspekt eine Integration unterschiedlicher Lebenswelten: Arbeiten, Lernen und Freizeit sind vermischt, formale und informelle Lernsettings überlagern sich.
  • Technologie-inspiriert addressiert die Beobachtung, dass sich die verfügbaren Technologien die diaktischen Konzepte beinflussen. Seit es Twitter gibt, überlegen wir uns, wie wir das twittern in Lehr-/Lernszenarien integrieren können, die Verbreitung von iPad und Co löst die Entwicklung entsprechender Apps aus, die Verbreitung von Sozialen Netzwerken, wirft die Frage auf, welchen Mehrwert die Community fürs Lernen hat. Die Idee Social Learning ist also davon inspiriert, das Potential neuer Technologien und zugrunde liegender Konzepte für Lernen zu nutzen.

Zugang 2: Vor vielen Jahren, also noch keiner ans Social Web dachte, gab es den russischen Psychologen Lew Semjonowitsch Wygotski (gestorben ist er 1934). Ich zitiere mal, was ich eben über seinen Ansatz in einem Manuskript für ein Buchkapitel geschrieben habe:

Als Vertreter des Konstruktivismus hat für ihn die soziale Interaktion zwischen den Lernern eine wesentliche Bedeutung, Wissen wird sozial konstruiert. Selbst Denken ist nach Wygotski als sozial zu verstehen und reflektiert die Kultur, in der die Individuen interagieren. Lerner wachsen langsam in eine Wissenskultur hinein. Sie können schwierige Aufgaben und Problem zunächst nur mit Hilfe anderer lösen und konstruieren erst mit der Zeit eigene kognitive Schemata um die Umwelt zu verstehen. Bei Wygotski wird Wissen also in der Interaktion mit anderen Individuen konstruiert. Das konstruierte Wissen ist dabei zunächst immer an den jeweiligen Kontext gebunden, in dem es erworben wurde. Wissen ist nicht abstrakt als richtig oder falsch vorhanden, sondern abhängig vom sozialen und physikalischen Kontext.

Merken Sie was? Gleiche Idee, keine Buzzwords! Nehmen wir das Ernst, macht der Begriff Social Learning überhaupt gar keinen Sinn. Lernen ist immer sozial, das einzige was sich durchs Social Web ändert, ist die Möglichkeit, lokal gebunde und synchrone Lernprozesse um globale und asynchrone zu ergänzen. Lernen wird dadurch nicht mehr oder weniger sozial, es ändern sich nur die zur Verfügung stehenden Medien. Ob das gut oder schlecht ist, ist noch zu diskutieren.

 

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6 Responses

  1. Nathanael sagt:

    Ich finde ja auch, dass Social Learning irgendwie ein Begriff ist, den man nicht fassen kann. Immerhin lerne ich bei jedem Schritt bzw. bei jeder Interaktion mit jemandem über das Web irgendetwas, sei es manchmal auch nur die Erkenntnis wie man nicht sein möchte…

    Ich kann Deine beiden Zugänge übrigens sehr gut verstehen. Was denkst Du denn? Hat man einer bereits vorhanden Erklärung einfach einen anderen Namen gegeben?

  2. Johannes Moskaliuk sagt:

    Ja und nein. Sicher ändert sich durch die Verfügbarkeit von Social Media manches, vorallem im Bezug auf die Menge und Aktualität von Informationen und die Möglichkeiten zum Austausch. Gleichzeitig finde ich es wichtig, die Anknüpfung an bestehende theoretische und empirische Arbeiten herzustellen, und Lernen „funktioniert“ nicht komplett anders, nur weils das Web 2.0 gibt. Auch der Mensch ist noch ähnlich was sein Erleben, Verhalten, Denken und Wahrnehmen angeht, auch wenn das Web natürlich Einfluss auf die Gesellschaft und einzelne Individuuen hat.

  3. […] Social Learning: Workplace Learning findet in einer Community (of Practice) statt, der Austausch mit anderen, die ähnliche Ziele und Aufgaben, haben ist der Motor für individuelles Lernen. […]

  4. Mit dem Zitat haben Sie mich sehr neugierig auf Ihren Beitrg und das Buch gemacht. Wie wird das Buch denn heißen und wann erscheint es?

    Ich teile Ihre Begeisterung für die Möglichkeiten, die sich durch die zusätzlichen Medien des Social Web bieten. Besonders, weil ich davon sehr profitiert habe und weiterhin täglich davon profitiere. Mein Einstieg in das netzbasierte Lernen war das weiterbildende Studienangebot ²Educational Media“ der Uni Duisburg-Essen. Ohne die Möglichkeit des Online-Studiums wäre diese Weiterbildung für mich nicht realisierbar gewesen und ich denke, als klassischer Fernlehrgang wäre sie wesentlich schwerer durchzuhalten gewesen. Beim täglichen Lernen würde ich niemals auf die Vielzahl an hochwertigen Informationen, die mir z. B. Twitter „an den Schreibtisch“ bringt, verzichten wollen. Das sind nur zwei Gründe für meine uneingeschränkte Begeisterung, es kommen ständig neue dazu.

    Was den Begriff Social Learning angeht stimme ich mit Ihnen überein. Ich würde sogar sagen, er ist irreführend. Allein durch die Nutzung der entsprechenden Tools findet ja noch kein soziales Lernen bzw. sozialer Austausch statt. Zum Beispiel Twitter: Man kann dort täglich schreiben und lesen ohne je eine einzige persönliche Interaktion mit einem Follower oder den Personen aus der Timeline zu haben. Es gehört schon noch einiges dazu, um die Social Tools auch sozial zu nutzen.

    Ich freue mich auf weitere Erfahrungen im Open Course Workplace Learning. Sollten Sie noch weitere Paten suchen, ab dem 25. Oktober könnte ich mir eine Beteiligung vorstellen. Eine E-Mail genügt.

    Vielen Dank für Ihren Beitrag und herzliche Grüße
    CP

  5. […] und zuallererst die Lesesäle mit W-Lan-Zugang ausgestattet. Erst wenn die Lerninhalte offen, integriert und technologie-inspiriert jederzeit für jedermann zugänglich sind, kommt Lernen wirklich auf eine neue Stufe. Für uns als […]

  6. Genau, Herr Kollege!
    Weiße Schwäne und Soziales Lernen haben eins gemeinsam: das erste Wort ist überflüssig. Grüße aus der Nachbarschaft
    Shivani Allgaier

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