Publikationen

Frei zugänglich und hoch vernetzt

6.August 2013  

In der Ausgabe 3/2013 von Kommunikation und Seminar habe ich einen Beitrag veröffentlicht mit dem Untertitel: „Web 2.0 zwischen Bildung und Marketing. Und Konsequenzen für private Anbieter von Training und Coaching.“ Es geht um die Frage, welche Rolle aktuelle Trends wie Massive Open Online Courses und Freie Bildungsressourcen für TrainerInnen und Coaches spielen. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags hier die digitale Version des Textes.

Tausende von Interessierten vernetzten sich und nutzen frei verfügbare Inhalte, um gemeinsam zu lernen. So lässt sich der Bildungstrend Massive Open Online Courses (MOOCs) auf den Punkt bringen. Große US-amerikanische Universitäten, wie in Harvard und Stanford, gehörten zu den Vorreitern und haben einen Teil ihrer Lehrveranstaltungen über das Internet frei zugänglich gemacht. Wo vorher nur wenige eingeschriebene Studierende Zugang zu neuem Wissen hatten, sind es jetzt auf einmal Tausende. Sie nehmen über das Netz an Seminaren und Vorlesungen renommierter Professorinnen und Professoren teil, bearbeiten die Aufgaben, tauschen sich mit anderen über die Lösungen aus und lernen so gemeinsam.

Mittlerweile ist dieser Trend auch in Deutschland angekommen. Bis jetzt sind es vor allem die Hochschulen, die ihre Lehrveranstaltungen öffnen. Für eine Hochschule geht es dabei zunächst um eine öffentlichkeitswirksame Positionierung als innovative Bildungsinstitution. Die Lerninhalte sind ohnehin vorhanden, der Fokus liegt auf den eigenen Studierenden. Deshalb müssen die Teilnehmenden von außen in der Regel nichts für die Teilnahme an einem MOOC bezahlen.

Einer der ersten deutschsprachigen MOOCs war der OpenCourse 2011. Er wurde von April bis Juli 2011 zum Thema „Zukunft des Lernens“ durchgeführt. Über 900 Menschen haben sich mit aktuellen technischen Entwicklungen im Bildungsbereich auseinandergesetzt. Der OpenCourse 2012 (http://www.opco12.de) von April bis Juli 2012 konnte mit über 1400 Teilnehmenden an den Erfolg anknüpfen und hat das Thema MOOCs in Deutschland voran gebracht.

Hinter dem Trend MOOCs steht das didaktische Konzept des Konnektivismus, das der Kanadier George Siemens entwickelt hat. Er beschreibt Lernen als Vernetzung. Einzelne werden Teil eines Netzwerkes von anderen Menschen, die gemeinsam lernen. Auch die Lerninhalte, Bücher, Blog-Einträge oder Videos, werden Teil dieses Netzwerkes. Lernen bedeutet dann die Weiterentwicklung des Netzwerks, neue Mitglieder treten diesem Netzwerk bei und neue Inhalte entstehen, außerdem auch neue Verbindungen zwischen den Elementen des Netzwerkes. Das Konzept des Konnektivismus ist stark geprägt von den technischen Möglichkeiten des Internets, das die Vernetzung von Menschen einfach und schnell ermöglicht. Außerdem stellt es den Lernenden eine große Menge an Inhalten zur Verfügung, die in das Netzwerk integriert werden können.

In einem der ersten MOOCs, die George Siemens 2004 gemeinsam mit Stephen Downes und Dave Cormier durchgeführt haben, werden vier Aktivitäten beschrieben, die Lernen durch Vernetzung ermöglichen.

  1. Aggregate – Einen Überblick verschaffen: Verfügbare Inhalte werden gelesen, angeschaut oder ausprobiert. Dabei geht es nicht darum, alle Inhalte zu rezipieren. Die Lernenden sollen das auswählen, was ihnen jetzt passend und interessant erscheint.
  2. Remix – Eine eigene Struktur finden: Die verfügbaren Inhalte werden gesammelt und in eine eigene Struktur gebracht. So werden Zusammenhänge zwischen den Inhalten klar.
  3. Repurpose – Selbst aktiv werden: Auf Basis der bestehenden Inhalte werden die Lernenden jetzt selbst aktiv und erstellen eigene Inhalte. Hier entwickeln sie ein eigenes Verständnis des Gelernten und denken die Inhalte weiter.
  4. Feed Forward – Austauschen mit anderen: Eigene Ideen und Inhalte werden mit anderen ausgetauscht. Hier geht es darum, das eigene Netzwerk zu erweitern. Durch die Ideen und Anregungen der anderen entsteht neues Wissen.

Revolution Web 2.0

Der Bildungstrend MOOCs steht im Kontext einer technischen Revolution, die oft mit dem Schlagwort Web 2.0 oder Social Web beschrieben wird. Die zentrale Veränderung: Nutzer werden von bloßen Konsumenten der Inhalte zu Produzenten. Das prominenteste Beispiel ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Wo vorher eine Redaktion aus Experten und Expertinnen die Inhalte eines Lexikons editiert haben, sind es jetzt Tausende von freiwilligen Nutzern, die Inhalte erstellen und überarbeiten. Nicht nur in der Wikipedia, auch in Blogs, Foren, Sozialen Netzwerken (z.B. Facebook) und Video-Plattformen (z.B. YouTube) produzieren unzählige Nutzer die Texte, Bilder, Musik und Videos und teilen sie mit anderen. Als Ergebnis steht im Web eine große Menge an nutzergenerierten Inhalten zur Verfügung. Eine zentrale Anforderung an Lernende ist deshalb, diese stehenden Inhalte kritisch zu bewerten und daraus die geeigneten  auszuwählen.

Eine weiterer Trend, der große Bedeutung für die Entwicklung von Lernen und Bildung im Web 2.0 hat, sind Open Educational Ressources (OER, deutsch: offene Bildungsressourcen). OER sind freie Lernmaterialen, die in der Regel in unterschiedlicher Form (Texte, Bilder, Musik, Filme, Animation, Karten) im Internet frei verfügbar sind. In der Regel stehen diese Inhalte unter einer Lizenz, die den Nutzern nicht nur den freien Zugriff erlaubt, sondern auch die Weiternutzung und Weiterentwicklung.

Hinter der OER-Bewegung steht die Idee, mit der freien und kostenlosen Verfügbarkeit von Inhalten einen breiten Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Ein Vorreiter war hier das Massachusetts Instituts of Technology (MIT), das im OpenCourseWare-Projekt (http://ocw.mit.edu) alle Vorlesungsunterlagen frei ins Netz stellte. Mittlerweile gibt es zahlreiche Initiativen, die sich die Bereitstellung von OER zum Ziel setzen, z.B. die Webseite oercommons.org oder das edu-sharing Network (edu-sharing.net).

Herausforderung für TrainerInnen

Welche Konsequenzen hat dieser Trend für private Bildungsanbieter, TrainerInnen und Coaches? TrainerInnen verstehen sich als ExpertInnen in ihrem Bereich. Sie bereiten Wissen auf, strukturieren es und vermitteln es didaktisch sinnvoll. Das selbst entwickelte (oder weiterentwickelte) Kursmaterial und die Seminarunterlagen sind damit wertvolles Kapitel, das viele ungern aus der Hand geben. Nun gibt es auf einmal Konkurrenz aus dem Netz. Zu fast allen Themen gibt es frei verfügbare Inhalte, zum Teil mit beachtenswerter Qualität. Manche TrainerInnen werden schon erlebt haben, wie Teilnehmende noch während des Seminars auf ihrem Smartphone im Internet recherchieren und die neu gefundenen Informationen dann in das Seminar einbringen. Die eigentlichen Kursmaterialien verlieren also durch die freie Verfügbarkeit von Alternativen an Wert, ausgeteilte Unterlagen werden von den Teilnehmenden kritischer als bisher bewertet.

Nehmen wir das ernst, bedeutet das eine radikale Änderung im Selbstverständnis und in der Rolle der Trainer und Trainerinnen: Von Inhaltsvermittlern werden sie zu Lernbegleitern, die ihre Teilnehmer und Teilnehmerinnen dabei unterstützten, passende Inhalte zu finden. Es geht darum, Lernende zu befähigen, Inhalte im Netz kritisch zu bewerten und auszuwählen. Die Aufgabe von TrainerInnen ist es dann, ihre Teilnehmenden anzuregen, das eigene Netzwerk (wohlgemerkt: bestehend aus Personen und Inhalten) weiter zu entwickeln und so Neues zu entdecken und zu entwickeln.

Aus dieser Idee ergeben sich neue didaktische Ansätze, zum Beispiel das Modell des „flipped classroom“ (deutsch: umgedrehter Unterricht). Statt die verfügbare Präsenzzeit eines Seminar zu Vermittlung von Inhalten zu nutzen, die Teilnehmenden dann am Arbeitsplatz oder zu Hause nacharbeiten, vertiefen und weiter anwenden, wird das Prinzip umgedreht. Die Teilnehmenden bereiten sich vor einem Seminar auf Basis von Inhalten, die der Trainer oder die Trainerin empfohlen hat, selbst vor und arbeiten sich in das Thema ein. Die eigentliche Präsenzzeit des Seminars wird dann zur Vertiefung, Anwendung und Weiterentwicklung der Inhalte genutzt.

Profil und Positionierung

Hochschulen können es sich leisten, hochwertige Inhalte frei verfügbar im Netz bereit zustellen. Der größte Teil der Inhalte wird von HochschullehrerInnen erstellt, die damit letztlich auch der gesellschaftlichen Verantwortung der Hochschulen für Bildung gerecht werden. Doch was hat eine Trainerin oder ein Trainer davon, eigene Inhalte frei zugänglich zu machen?

Letztlich geht es um Marketing. Der wichtigste Erfolgsfaktor für eine Trainerin oder einen Trainer ist ein klares Profil und eine eindeutige Positionierung am Markt. Das Bereitstellen von hochwertigen Inhalten trägt dazu bei, sich selbst als Experte für ein Thema zu positionieren.

Das Problem dabei: Die Möglichkeiten, mit digitalen Inhalten Geld zu verdienen, sind noch begrenzt. Der Marktanteil von E-Books zum Beispiel, also elektronischen Büchern, lag in Deutschland 2012 noch deutlich unter fünf Prozent. Auch Versuche mit sogenannten Micro-Payment-Systemen waren bis jetzt wenig erfolgreich. Hier bezahlen die LeserInnen z.B. durch einen Klick auf einem Button Cent-Beträge für gelesene Inhalte. Stehen zahlreiche Inhalte kostenfrei im Netz zur Verfügung, sinkt die Bereitschaft der Konsumenten zu bezahlen.

Aus Sicht eines privaten Bildungsanbieters ist das kostenlose Bereitstellen von Inhalten also eine Marketing-Strategie, die einen Einblick in die Qualität der eigenen Arbeit gewährt. Damit kann ein wichtiger Beitrag zur Positionierung am Markt geleistet werden.

Beziehungen und Kommunikation

In sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter steht die Kommunikation mit anderen im Vordergrund. Menschen nutzen die neuen Möglichkeiten, um miteinander in Kontakt zu kommen, vorhandene Beziehungen zu pflegen und neue zu schließen. Die Inhaltsebene wird auf technischer Seite um eine soziale Ebene ergänzt. Die Lerninhalte (z.B. ein YouTube-Film oder ein Eintrag in der Wikipedia) und der Austausch über die Inhalte (z.B. die Kommentare unter dem Film oder die Diskussionsseite eines Wikipedia-Eintrags) sind eng miteinander verknüpft. Daraus ergeben sich neue didaktische Konzepte, vor, während und nach einer Veranstaltung Möglichkeiten zum netzbasierten Austausch zu nutzen.

So können die Teilnehmenden z.B. während einer Veranstaltung mit Hilfe ihrer Smartphones Rückmeldung geben oder Fragen formulieren, die dann gesammelt und aufgegriffen werden. Oder es wird bei einer mehrteiligen Veranstaltung die Zeit zwischen den Präsenzterminen genutzt, um sich über das Netz mit den anderen auszutauschen und gemeinsam zu lernen. Gleichzeitig ändern sich mit dem Bedürfnis der NutzerInnen nach Beziehung und Kommunikation auch die Anforderungen an Marketing. Web 2.0.-Marketing wird zu einem zweiseitigen, kommunikativen Prozess. Notwendig ist ein ständiger und authentischer Austausch zwischen Anbietern und (potentiellen) Kunden. Bloße Werbung in Form von Anzeigen, Flyern und Newslettern geht zunehmend in der Masse der verfügbaren Inhalte verloren.

Fazit

Die digitale Revolution hat großen Einfluss auf Bildung und Lernen und verändert auch den Bereich der beruflichen und privaten Weiterbildung. Zusammenfassend kennzeichnen drei Prinzipien diese Entwicklung und beschreiben den Bildungstrends MOOCs:

  1. Lernen bedeutet die Weiterentwicklung eines Netzwerkes von Lernenden und geteilten Inhalten.
  2. Das Web 2.0 stellt digitale Werkzeuge zur Verfügung um Inhalte gemeinsam zu erarbeiten und auszutauschen.
  3. Voraussetzung dafür ist die Zugänglichkeit von offenen Bildungsinhalten.

Private Bildungsanbieter sollten sich dieser Herausforderung stellen. Ihre Chance ist es, neue Strategien in Bezug auf Marketing und Öffentlichkeit zu entwickeln und die didaktische Konzeption der eigenen Angebote kritisch zu überprüfen. Das Kapital eines Trainers oder einer Trainerin ist nicht mehr der eigentliche Lerninhalt, sondern die Kompetenz, Lernenden beim Lernen durch Vernetzung zu begleiten. Das Bereitstellen von hochwertigen Inhalten im Netz kann zur Profilierung und Positionierung eines Anbieters am Markt beitragen. Zentrales Ziel von Marketing für Trainerinnen und Trainer ist der Aufbau von Beziehung zu (potentiellen) Kunden. Das Web 2.0 bietet optimale Bedingungen dafür.

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